hören wahrnehmen leben - Fünf Radiofeatures von Ekkehard Kühn

Die Featuresendungen von Ekkehard Kühn sind radiophone Gesamtkompositionen, in denen Musik gleichrangig neben Wort und Originalton steht: "Das Thema bestimmt, wie weit  ich gehen kann", sagte Ekkehard Kühn dazu und widerspricht jedem Vorbehalt, er bediene sich für seine Produktionen einer "Luxusdramaturgie".
Ein Marktschreier für das Sujet Feature sei er, "damit ich die Leute zwischen die Lautsprecher kriege."

Die Verklärung des Ohres oder der Mythos vom Weltorgan.
"Die Sonne tönt nach alter Weise", dichtete Goethe, und es war eine Poesie. Wenn die Sonne "tönt", dann kann man das auch hören, folgern Menschen, die sich esoterischen Gedanken verschrieben haben. Und da Überzeugungen stärker sein können als Fakten hilft man ein bisschen nach und produziert die Töne selber. Es tönt aber nicht aus dem Weltraum, beharren die Astrophysiker vom Max Planck-Institut, physikalisch sei das unmöglich. Der "Klangphilosoph" Joachim Ernst Behrendt dagegen, früher einmal gefragter Jazz-Spezialist, war ein beredter Verfechter der Praxis, mit fragwürdigen Rechenkunststücken die selbst gebastelten "Planetentöne" für echt zu erklären.

Urschrei und Koloratur.
In den ersten Wochen nach der Geburt klingen die akustischen Äußerungen eines Menschenbabies und eines Schimpasenbabies zum Verwechseln ähnlich. Erst danach beginnt sich der Kehlkopf des Menschen abzusenken und es entsteht ein Ansatzrohr, eine erste Entwicklung hin zum Singen. Auch Affen können singen, in der Aufnahme eines Schopfgibbon-Männchens klingt eine Koloratur fast genauso wie bei Joan Sutherland. Beim Singen, das versichern besonders die hohen Soprane; werden nicht nur die für das Singen notwendigen Organe in Anspruch genommen, nein, es gehen quasi erotisierende Wellen durch den ganzen Körper, eine für Laien unvorstellbare sinnliche Wahrnehmung.

Die mit den Ohren sehen.
Was heißt Sehen für einen von Geburt an Blinden? Was kann er sich vorstellen? Erst später durch Krankheit Erblindete berichten, dass sie noch lange eine Vorstellung von ihrer Umgebung hatten und diese auch dann noch visualisierten, als sie in Wahrheit schon blind waren. Im Traum sind sie immer noch sehend, das Licht zieht sich ganz langsam zurück. Aber die Wahrnehmung der Umwelt verändert sich vollständig: Das Zwitschern eines Vogels ist der Vogel, die Stimme eines Menschen ist dieser Mensch, der Lärm eines Autos ist das Auto. Hören ist nicht mehr nur eine akustische  Unterstützung von Shene, es ist Sehen!

Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.
Es gibt neun große stattliche oder städtische Schauspielschulen in der Bundesrepublik und Österreich. Sie sind Tourneestationen für eine Spezies junger Menschen, die um alles in Welt die Schauspielkunst erlernen wollen, aber bei den Aufnahmeprüfungen nicht reüssieren und es deswegen immer wieder woanders versuchen. Teilweise kennt man  sich schon und hat sich natürlich viel zu erzählen: Wie war´s in Essen, wie war´s in Bochum, wie war´s in München. Einige reisen mit den immer gleichen Stücken zu den verschiedenen Prüfungen …

Ballerinen
Die lieben Enkelkinder mit niedlichem Tutu und reizendem Schmetterlingskostümchen beim Sommerfest der Ballettschule, die Größere steht auch schon auf der Spitze, das wird einmal eine berühmte Ballerina: So träumen viele Großmütter und bringen professionelle Ballettlehrer zur Verzweiflung. Die Wirklichkeit ist nicht geeignet für Träume, die Aufnahmeprüfungen für die professionellen Ballettschulen sind rigogros. Nur die Allerbesten haben eine Chance, und da geht es nicht nur um Rhythmus, Musikalität und sportliches Können …